«Ich will anderen Menschen Hoffnung geben»

Wie Mariem Almohana trotz psychischen Herausforderungen ihre Lehre mit Bravour abschloss – und welche Rolle ein engagierter Ausbildungsbetrieb dabei spielte.

Es sind Geschichten wie diese, die Mut machen: Mariem Almohana hat ihre Lehre als Detailhandelsfachfrau mit einem Notenschnitt von 5.4 abgeschlossen, trotz schwerer psychischer Belastungen. Noch vor zwei Jahren hätte sie sich das selbst nicht zugetraut. Ihr Weg zeigt eindrücklich, wie entscheidend die richtige Unterstützung, gegenseitiges Vertrauen und ein wertschätzendes Umfeld sein können.

«Ich führe dieses Gespräch mit Ihnen, weil ich anderen jungen Menschen Hoffnung machen will, besonders jenen, die gerade eine schwierige Zeit durchleben. Es ist möglich, dort wieder herauszufinden – denn man darf Hilfe und Unterstützung annehmen», erklärt uns Mariem Almohana.

Kein einfacher Start

Ihre Lehre begann sie 2019 voller Motivation. Doch eine Essstörung sowie ihre hohen Erwartungen an sich selbst machten ihr zunehmend zu schaffen. «Ich war sehr perfektionistisch veranlagt. Ich war immer gut in der Schule, aber für mich war es nie gut genug. Das hat mich enorm unter Druck gesetzt», erklärt Mariem Almohana. Es folgten lange Ausfälle und mehrere Klinikaufenthalte. «Irgendwann hatte ich einfach keine Energie mehr», fügt sie hinzu. Schliesslich kamen auch noch familiäre Konflikte dazu.

Im Lehrbetrieb sei sie irgendwann nur noch als «die mit den Problemen» wahrgenommen worden. «Das war belastend und es war mir unangenehm», fasst Mariem Almohana zusammen. Zudem verpasste sie viel Unterrichtsstoff. Sie entschied sich für einen sechsmonatigen Klinikaufenthalt. Dieser hatte aber auch zur Folge, dass ihr Lehrverhältnis beendet wurde.

Ein anschliessendes Praktikum in einem neuen Betrieb verlief enttäuschend. «Es fehlte an Verständnis, ich habe mich nicht wohl gefühlt», sagt sie rückblickend. Bald ging es ihr gesundheitlich wieder schlechter. Ihr wurde bewusst, dass sie die anstehenden Abschlussprüfungen – mittlerweile war sie bereits im dritten Lehrjahr – unter den gegebenen Umständen nicht meistern würde. Gemeinsam mit ihrem Coach Sandro Imfeld – der von der IV beauftragt und finanziert wurde – entschied sie sich, die Lehre abzubrechen und sich erneut in Therapie zu begeben.

Der Aufenthalt in der Frauenklinik und der Umzug in ein betreutes Wohnen markierten einen Wendepunkt. Der räumliche und emotionale Abstand half, neue Kraft zu schöpfen.

Almohana Nussbaumer GB 2024

Mariem Almohana und Manuela Nussbaumer, Bäckerei Nussbaumer

Eine neue Richtung einschlagen

Als es ihr besser ging, ermutigte sie ihr Coach, sich bei der Bäckerei Nussbaumer zu bewerben. Personal- und Verkaufsleiterin Manuela Nussbaumer bildet seit über 20 Jahren Lernende im Verkauf aus – viele davon mit besonderem Unterstützungsbedarf. Für sie ist das keine Ausnahme, sondern ihre Philosophie: «Unsere Lernenden sollen sich gesehen und wertgeschätzt fühlen. Wer bei uns ist, erhält die Chance zu wachsen – mit klaren Regeln, aber auch mit viel Menschlichkeit», sagt Manuela Nussbaumer.

Sandro Imfelds Vermutung, dass die Chemie zwischen den beiden Frauen stimmen könnte, trügte nicht. «Mariem und ich haben uns getroffen, sind lange spazieren gegangen und haben miteinander geredet», erinnert sich Manuela Nussbaumer. Grundsätzlich sei es nicht immer einfach, jemanden im dritten Lehrjahr zu übernehmen: «Da wir aber über viel Erfahrung verfügen, habe ich mir überlegt, in welches Team sie am besten passen würde. Ich hatte ein gutes Gefühl – und dann haben wir es einfach gewagt», erklärt sie lachend. Mariem Almohana stimmt ihr zu: «Frau Nussbaumer zeigte viel Verständnis und gab mir eine Chance. Ich habe mich vom ersten Tag an als Teil des Teams gefühlt.»

Vertrauen statt Vorurteile

Statt Vorurteilen gab es viele Gespräche und Vertrauen – und die Freiheit, selbst zu entscheiden, was Mariem Almohana über ihre Geschichte preisgeben wollte. Kleine Gesten wie ein Schlüssel zum Laden bewirkten Grosses. «Ich kannte es nicht, dass ich als Lernende bereits so viel Verantwortung übernehmen durfte. Diese Wertschätzung hat mir viel bedeutet. Ich wusste vorher gar nicht, dass man so viel Freude an der Arbeit haben kann», erinnert sie sich mit einem Lächeln im Gesicht. Manuela Nussbaumer fügt hinzu: «Ihre grosse Stärke ist der Kundenkontakt, sie hat ein echtes Gespür für die Kundinnen und Kunden. Nicht jeder ist dafür gemacht. Verkauf ist Leidenschaft und die Freude an den Menschen.»

Auch für sie ist Mariem Almohanas Weg etwas Besonderes – aber kein Einzelfall. Sie erlebt oft, wie Jugendliche aufblühen, wenn sie ernst genommen werden und sich in einem klar strukturierten, wertschätzenden Umfeld bewegen dürfen. «Jugendliche brauchen heute andere Rahmenbedingungen als früher. Wer mit jungen Menschen arbeitet, muss bereit sein, sich anzupassen und auch mal loszulassen. Man muss sich dem Zeitgeist anpassen.»

Sie spricht von einer Veränderung in der Ausbildungswelt: Der autoritäre Stil von früher funktioniere heute nicht mehr. Was es brauche, seien Menschen, die zuhören und gleichzeitig einen Raum bieten, in dem die Jugendlichen wachsen – und erwachsen werden – können. «Ich verspreche unseren Lernenden: Wenn du zu uns kommst, dann kannst du nach diesen drei Jahren Lehre etwas. Dann bist du bereit für die Berufswelt.»

Vielen Lehrbetrieben ist nicht bewusst, welche Unterstützungsangebote es im Kanton Zug gibt.
Manuela Nussbaumer

Gemeinsame Perspektiven schaffen

Ein Schlüssel zum Erfolg war die enge Zusammenarbeit mit dem von der IV gestellten Coach. Beide konnten jederzeit Kontakt zu ihm aufnehmen. Früher habe es solche Hilfestellungen kaum gegeben, sagt Manuela Nussbaumer und ergänzt: «Ich glaube, vielen Lehrbetrieben ist gar nicht bewusst, welch vielfältige Unterstützungsangebote es im Kanton Zug gibt.»

Die Bäckerei Nussbaumer betrachtet ihr Engagement nicht als Belastung, sondern vielmehr als eine Investition in gute Berufsleute. «Wenn die Jugendlichen merken, dass wir ihnen etwas zutrauen, wächst deren Motivation. Und genau das brauchen wir!»

Dass Mariem Almohana heute offen über ihre Geschichte spricht, beeindruckt auch Manuela Nussbaumer: «Sie hat dieses Bedürfnis in sich, anderen Menschen zu helfen. Ich bin stolz auf sie und auf mein Team. Auch wenn der Himmel manchmal dunkel war, jetzt kitzelt uns die Sonne im Gesicht. Es ist schön, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen durften.»

Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und anderen Jugendlichen Mut machen.
Mariem Almohana

Vom Rückzug zur Stärke

Mit professioneller Begleitung, einem unterstützenden Arbeitsumfeld und einer grossen Portion Willenskraft fand Mariem Almohana ihren Weg zurück in den Berufsalltag – und zu sich selbst. «Ich habe gelernt, dass es mein Leben ist und dass ich selbst dafür verantwortlich bin. Heute bin ich kommunikativer und kann Probleme offen ansprechen. Ich bin ein anderer Mensch als vorher.»

Sie ist selbstbewusst, entspannter und hat ein konkretes Ziel: «Ich möchte gerne im sozialen Bereich arbeiten – am liebsten im betreuten Wohnen. Ich habe dort so viel Wertvolles erlebt. Diese Erfahrungen will ich weitergeben und anderen Jugendlichen Mut machen: Es bleibt nicht immer schwer. Wichtig ist, niemals aufzugeben.»

So unterstützt die IV-Stelle Zug

Seitens der IV-Stelle Zug hat Berufsberaterin Carmen Buntschu den Fall von Mariem Almohana begleitet. Ihre Arbeit bei der IV-Stelle Zug besteht darin, Jugendliche bei der Berufswahl und ihrer Erstausbildung zu unterstützen, wenn gesundheitliche Probleme den Einstieg ins Arbeitsleben erschweren. Unsere Berufsberaterinnen und -berater führen mit den Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten persönliche Gespräche, lernen sie besser kennen und helfen herauszufinden, wo die Interessen und Stärken der jungen Menschen liegen. Findet die Erstausbildung im geschützten Rahmen statt, verfügt die IV-Stelle Zug über ein gutes Netzwerk von Ausbildungsstätten. Führen die gesundheitlichen Einschränkungen zu Mehrkosten in der Erstausbildung, kann durch eine Anmeldung bei der IV auch eine finanzielle Unterstützung erfolgen.

Hier finden Sie weitere Informationen über die Früherkennung und die berufliche Integration für Jugendliche.